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Koalitionspoker in Berlin: Giffey lässt sich nicht in Karten schauen Von Stefan Kruse, dpa

Nach einer langen Wahlnacht in Berlin macht es der Wahlsieger SPD weiter spannend. Spitzenkandidatin Giffey hat vier potenzielle Regierungspartner ausgemacht, die sie vor sich hertreibt. Derweil fragt sich Deutschland einmal mehr: Funktioniert Berlin noch?

Berlin (dpa) - Nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus blicken alle auf eine Frau. Zwar fuhr Ex-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey als SPD-Spitzenkandidatin mit gerade mal 21,4 Prozent das schlechteste Nachkriegsergebnis für die Sozialdemokraten in Berlin ein. Dennoch darf sich die 43-Jährige Wahlsiegerin nennen und aussuchen, mit wem sie künftig regieren will.

Und Giffey pokert: Während sich die möglichen Aspiranten Grüne, Linke, CDU und FDP am Montag der SPD andienten und Koalitionsangebote machten, lässt die designierte Regierende Bürgermeisterin sie zappeln. Wie schon vor der Wahl schwieg sie sich im Hinblick auf das von ihr angestrebte Bündnis aus. Sie wolle «so viel wie möglich SPD» im neuen Senat, wiederholte sie mehrfach. Gleichzeitig bot sie allen vier Parteien Sondierungsgespräche an.

Nach dem vorläufigen Endergebnis, das erst Montagmorgen gegen 07.30 Uhr veröffentlicht wurde, lag die SPD noch einen Tick schlechter als beim bisherigen Negativrekord 2016 von 21,6 Prozent. Die Grünen dagegen steigerten sich auf ihr bestes Berliner Landesergebnis von 18,9 Prozent. Die CDU schnitt mit 18,1 Prozent nur minimal besser ab als bei ihrem historisch schlechtesten Resultat 2016, die Linke gab leicht auf 14,0 Prozent nach. Im neuen Abgeordnetenhaus sind auch eine stark geschrumpfte AfD (8,0 Prozent) und eine kaum verbesserte FDP (7,2 Prozent) vertreten.

Aus den Zahlen ergibt sich, dass die seit 2016 regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linken mit satter Mehrheit weitermachen könnte. Möglich sind aber auch andere Dreierbündnisse. In politischen Berlin glauben viele, Giffey könnte eine Koalition aus SPD, CDU und FDP schmieden wollen - obwohl sie das nie öffentlich gesagt hat. Energisch widersprochen hat sie aber auch nicht, im Wahlkampf sogar Grüne und Linke attackiert.

Gleichwohl wollen diese das Kriegsbeil rasch wieder begraben und machen Druck. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte, das Wahlergebnis sei ein klares Signal für eine «progressive, ökologische Koalition mit mehr Grün in Regierungsverantwortung». Linke-Parteichefin Katina Schubert hält ebenfalls nichts anderes als eine Neubelebung des bisherigen Dreierbündnisses für geboten, alles andere wäre aus ihrer Sicht «Wahlbetrug».

Auf der anderen Seite warben CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner und sein FDP-Kollege Sebastian Czaja für einen «Neustart» mittels einer «Koalition der Mitte». «Frau Giffey wurde nicht gewählt, um Rot-Rot- Grün fortzusetzen», meint Wegner. Schließlich habe ihr SPD-Programm wenig mit dem der bisherigen rot-rot-günen Koalition zu tun.

In der Tat setzte sich Giffey im Wahlkampf etwa in der Verkehrspolitik oder der Frage, wie viel Klimaschutz die Stadt braucht, von Grünen und Linken ab und vertrat eher CDU-Positionen. Das gilt auch für Fragen der Sicherheits- und der Migrationspolitik. Noch kurz vor der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan forderte sie, Straftäter dorthin abzuschieben.

Daraus aber zu schließen, Rot-Rot-Grün sei am Ende, wäre wohl verfrüht. Immerhin konstatierte Giffey auch: «Es gibt einen großen Teil der Bevölkerung, die der SPD ihre Stimme gegeben haben, aber eben auch den Grünen», sagte sie im Inforadio des RBB. Um dann noch eine Spitze gegen Konkurrentin Jarasch nachzuschieben. «Aber man muss eben auch sagen, die CDU ist fast gleichauf mit den Grünen gelandet.»

Ein ganz wesentlicher Knackpunkt schon in den Sondierungsgesprächen wird die Frage des Umgangs mit dem Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen sein. Bei der Abstimmung parallel zu Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl votierten 56,4 Prozent der Wähler für eine Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt - gegen Entschädigung. Auch wenn das Votum rechtlich nicht bindend ist, muss sich Politik dazu verhalten. Und hier hatte es zwischen der SPD, die wie CDU und FDP gegen Enteignungen Position bezog, sowie den Befürwortern bei Linken und Grünen mächtig gekracht.

Derweil fragt sich die Republik einmal mehr, ob Berlin überhaupt noch richtig funktioniert. Denn teils chaotische Verhältnisse am Wahlabend mit mancherorts fehlenden oder vertauschten Stimmzetteln und langen Schlangen vor Wahllokalen bis weit nach deren offizieller Schließung um 18.00 Uhr ließen daran ernste Zweifel aufkommen. Auf die Frage, wie das passieren konnte und welches Ausmaß die Probleme hatten, konnte Landeswahlleiterin Petra Michaelis am Montag keine Antworten liefern. Eine Antwort indes gab sie: Einen Grund zum Rücktritt sieht sie bislang nicht.