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Mehr Wissenschaftler in den Medien - bleibt das so auch nach Corona? Von Anna Ringle, dpa

Wissenschaftler sind in Corona-Zeiten so präsent in den Medien wie schon lange nicht mehr. Was bleibt davon? Berlin (dpa) - Gefühlt ganz Deutschland weiß inzwischen, wie der Chef des Robert Koch-Instituts aussieht und wie er heißt: Lothar Wieler. Und worüber der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, forscht, ist natürlich auch klar. Bis vor kurzem war das noch nicht so. Die Experten sind jetzt in der Coronavirus-Krise in den Medien gefragt. Wird dort die Wissenschaft auch nach der Pandemie stärker abgebildet? Das Interesse an Informationen über das Virus ist bei Zeitungen, Zeitschriften, Audio und Fernsehen in Deutschland seit Ausbruch der Krise sprunghaft angestiegen. TV-Talkshows etwa haben gerade einen höheren Anteil an Wissenschaftlern unter ihren Gästen. Und vom Streamingdienst Spotify heißt es: «Vor zwei Wochen waren «COVID» und «Corona» unter den am schnellsten wachsenden Suchbegriffen nach Podcasts auf unserer Plattform. Dieser Trend hat etwas nachgelassen, aber Episoden zum Thema COVID-19 sind noch immer stark gefragt.» Im Content-Netzwerk Funk von ARD und ZDF, das sich aufs jüngere Publikum fokussiert, stellte die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim Anfang April ein Corona-Video in ihren YouTube-Channel. Bisher wurde es fast fünf Millionen Mal angeklickt - es ist mit Abstand ihr erfolgreichstes Video. Sonst erzielt die Chemikerin im Durchschnitt innerhalb der ersten Woche nach Veröffentlichung etwa 300 000 Videoabrufe, wie Funk mitteilt. Der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen betont: «Die Corona-Krise macht deutlich, wie wichtig es ist, dass die breite Öffentlichkeit den wissenschaftlichen Forschungsprozess genauer versteht.» Neben kommunikationsstarken Wissenschaftlern brauche es Journalisten, «die erklären und einordnen, wie aussagekräftig Daten und Einschätzungen tatsächlich sind, und die als Dolmetscher einer Fach-Disziplin agieren». Die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher von der Universität Hamburg befürchtet, dass die Nachfrage nach der Krise wieder abflachen könnte. Leserinnen und Leser zeigten «vor allem Interesse an den Informationen, die sie für ihre eigene Lebenssituation als relevant erachten. Allgemeines Interesse an wissenschaftlichen Themen ist hingegen nicht sehr ausgeprägt.» Der Wissenschaftsjournalismus spiele in den Medien insgesamt gesehen eine eher untergeordnete Rolle. «Bisherige Entwicklungen zeigten ein eher aktualitätsbezogenes Interesse an wissenschaftlichen Teilaspekten», so Bleicher. Die Wochenzeitung «Die Zeit» stärkte hingegen bereits im vergangenen Jahr den Bereich Wissenschaft. Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sagt: «Seit September 2019 gibt es das Großressort Wissen, das nicht nur prominent in der Mitte einer jeden «Zeit»-Ausgabe zu finden ist, sondern mit gleich zwei Büchern besonders umfangreich daherkommt. Gerade jetzt sind wir sehr froh, diese Entscheidung damals getroffen zu haben.» Man werde über die Corona-Krise hinaus daran festhalten. Die Erfahrung aus der Wochenzeitung und dem Onlineauftritt zeige, dass Wissensthemen mehr denn je gefragt seien. Der Wissenschaftsverlag Springer Nature, der Fachpublikationen mit Schwerpunkt deutscher Gesundheitssektor herausgibt, geht davon aus, dass «in den nächsten Wochen und Monaten die Anzahl der Veröffentlichungen rund um die Thematik SARS-CoV-2/Covid-19 rasant ansteigen wird». Derzeit gebe es ein erhöhtes Interesse an wissenschaftlichen Inhalten - nicht nur innerhalb der Wissenschaft und Forschung selbst, «sondern auch seitens einer breiten Öffentlichkeit». Wie anhaltend dieses Interesse langfristig sein wird, könne man natürlich nicht vorhersehen. Der öffentlich-rechtliche Südwestrundfunk richtete bereits vor mehr als zwei Jahren die Redaktion SWR Wissen Aktuell ein. Diese produziert auch ARD-weit. «Derzeit wird der Bereich noch verstärkt von Kolleg*innen, die sonst für längere Wissensformate arbeiten. Ohne diese aktuelle Einheit wäre eine Berichterstattung in dieser Schlagzahl und Qualität in der jetzigen Situation nicht möglich», heißt es in einer schriftlichen Antwort des Senders. Die Corona-Krise mache deutlich, «wie wichtig die Berichterstattung und die Expertise von Fachredaktionen ist, und könnte ihre ohnehin schon bedeutende Rolle nachhaltig stärken», heißt es. Der SWR plant unabhängig von der Krise, wissenschaftsjournalistische Inhalte vermehrt auch für das Internet und Streaming zu entwickeln. Während der Westdeutsche Rundfunk (WDR) derzeit keine Erweiterung von eigenen Programmflächen über die bisherigen Wissenschafts-Angebote («Quarks») hinaus plant, will der Norddeutsche Rundfunk (NDR) seinen Bereich Wissenschaft unabhängig von der Corona-Krise weiter ausbauen. Dazu werde auch an Modellen gearbeitet, wie solche Themen online in der Mediathek stärker abgebildet werden. Und ein neuer Wissenschafts-Podcast («NDR Info Synapsen») ist geplant, der noch vor der Krise entwickelt wurde. Zugleich heißt es bezogen auf den Fernsehbereich: «Ob die derzeit hohe Nachfrage nach Wissenschafts- und im Besonderen Gesundheitsthemen dazu führt, dass es später mehr Wissenschaftssendungen geben wird, ist derzeit nicht absehbar.» Der NDR präsentiert sehr erfolgreich einen Podcast mit dem Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Drosten. Auf Spotify etwa zählt er gerade zu den begehrtesten Angeboten. Wie lange es den Podcast geben wird, ist noch nicht klar. Bei der Laufzeit wolle man sich nicht festlegen, um auch kurzfristig reagieren zu können, heißt es beim Sender. Allerdings werden ab nächster Woche Nutzer nicht mehr jeden Tag von Drosten hören. Aus Zeitgründen wurde der Rhythmus gestreckt.